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diskursiv

29.5.2021 #diskursiv: Identitätspolitik - ein Kampf zwischen Abwehr und Anerkennung

Super User
24. April 2021

Am 29.5.2021 gab es #diskursiv @p.m.k., unter dem Titel "#diskursiv: Identitätspolitik - ein Kampf zwischen Abwehr  und Anerkennung" mit Jens Balzer, Eva Berendsen und Rene Nuderscher - Sound zelebriert bei DJ BC-A. Die Aufnahmen der Veranstaltung gibt es hier zum Nachsehen.

Cancel you!

Innerhalb der Linken tobt ein Krieg und im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit identitätspolitischen Fragen. Es geht um die "richtige" gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, um Fragen der Kritik und welche Themen behandelt werden müssen:

Sind es die der identitätspolitischen Zugehörigkeiten oder der ökonomischen Ungleichheit und der Klassenzugehörigkeit?

Was der Ausgangspunkt und der Fokus des politischen Handelns sein muss, wird verschieden gedeutet. Das Vorwurfskarusell läuft und linke Gruppen bombardieren sich mit Schuldzuweisungen. Auf der einen Seite  steht Identitätspolitik symptomatisch für die Fragmentierung der Gesellschaft. Diese fördere nur einen Opferwettbewerb, sei Schuld am Aufstieg der Rechten und sie lenke vom Wesentlichen ab, wie Klassenfragen und der damit verbundenen Kritik und Überwindung der  kapitalistischen Gesellschaft.

Auf der anderen Seite werden Fragen der Privilegien, Macht- und Herrschaftsverhältnisse  ins Zentrum gestellt und Minderheitenpositionen werden über Mehrheitsverhältnissen gestellt, da Themen der strukturellen Diskriminierung und ihre Folgen wenig Bedeutung zugemessen wurde. Identitätspolitische Zugänge rücken die Erfahrungen von Betroffenen und deren Diskriminierungserlebnisse ins Zentrum des politischen Handelns.

Es wirkt als bleibe eine linke Dichotomie zurück, die nicht zusammen gedacht werden kann. Die verschiedenen politischen Ausrichtungen konkurrieren gegeneinander wie am freien Martk, wo offen ist, wer sich wie durchsetzt?


Identity is political and it is a battlefield

"The most general statement of our politics at the present time would be that we are actively committed to struggling against racial, sexual, heterosexual, and class oppression, and see as our particular task the development of integrated analysis and practice based upon the fact that the major systems of oppression are interlocking. The synthesis of these oppressions creates the conditions of our lives." (Combahee River Collective 1977)

Dieser Auszug aus dem statement von "Combahee River Collective" gilt als Gründungsdokument der "Identitätspolitik" und war eine Reaktion auf unterschiedliche gesellschaftliche Erfahrungen von Personen mit unterschiedlichen Identitäten: Ob weiblich, schwarz, trans, lesbisch - ihre Erfahrungen unterschieden sich von der Mehrheitsgesellschaft und waren kaum Gegenstand von politischer Auseinandersetzung. Sie wendeten sich bewusst gegen weiße, männliche und heterosexuelle Positionen. In der marxistisch-materialistischen Auseinandersetzung wurden identitäspolitische Kämpfe und Erfahrungen als Nebenwidersprüche des Kapitalismus abgetan. Mit der Überwindung des Kapitalismus sollten auch ihre Kämpfe obsolet werden. Aber ausgehend von den eigenen Ungleichheitserfahrungen erklärt das "Combahee River Collective" ihre eigene Identität zum Ausgangspunkt für politisch linke Kämpfe.

„We realize that the liberation of all oppressed peoples necessitates the destruction of the political-economic systems of capitalism and imperialism as well as patriarchy.” (Combahee River Collective 1977)

Die Gruppe Schwarzer lesbischer Frauen argumentierten, dass sich ihre spezifische Unterdrückungserfahrung aus ihrer „Identität“ als Schwarze Lesben heraus am radikalsten bekämpfen lasse – und zwar gemeinsam. Da sich bis zu diesem Zeitpunkt linke Politik vornehmlich auf den männlichen Industriearbeiter als Modellfigur des Proletariats bezog, erkannten sich die Schwarzen lesbischen Frauen nicht wieder.


Identitätspolitik - ein Kampf zwischen Abwehr und Anerkennung

Ja genau, wir bleiben dran und widmen uns in unserer #diskursiv Veranstaltungsreihe dem Thema der Identitätspolitik. Die Auseinandersetzung sind schon längst im Feuilleution angekommen und gewinnen dadurch nicht unbedingt an Qualität, stattdessen ziehen sich immer mehr Linke zurück und übrig bleiben konservative Auseinandersetzungen, die weder eine Vision noch ein Interesse an einer befreiten Gesellschaft haben. Zurück bleiben identitätspolitische Schlagwörter wie Cultural Appropriation, Cancelculture oder Trigger Warnung.

Im Rahmen unserer #diskursiv Veranstaltungsreihe wollen wir als Kulturkollektiv ContrApunkt einen Raum eröffnen, der danach fragt was emanzipatorische linke Politik sein soll, wie politische Allianzen funktionieren können und Identitäts- und Klassenfragen nicht konkurrierend, sondern gemeinsam gedacht werden können. Dafür haben wird drei Beiträge von Menschen, die sich dem Thema aus unterschiedlichsten Blickwinkeln nähern.

Beginn: 16:00 Maurice Kumar (Kulturkollektiv ContrApunkt/Moderation): Eine Einführung in das Programm



16:30 René Nuderscher: "Schmutz, Dreck und Unreinheit - eine politische und soziokulturelle Auseinandersetzung"
Theorieliebhaber und Kulturschaffender Rene Nuderscher, in Innsbruck wohnhaft, wird uns seinen Schwerpunkt zur Einführung an diesem Nachmittag präsentieren. Sein Thema "Schmutz, Dreck und Unreinheit - eine politisch und soziokulturelle Auseinandersetzung".

René Nuderscher
René Nuderscher

 

17:30 Eva Berendsen - "Autsch"
Kaum etwas scheint das Bürgertum so sehr zu triggern wie Identitätspolitik. Ein innerlinkes Streitthema ist im Mainstream angekommen. Das sind nicht nur gute Nachrichten für alle, die sich für die Rechte von Minderheiten und Marginalisierten einsetzen. Unterm Strich streitet man sich jetzt in Talkshows über das Gendersternchen und das N-Wort im Kinderbuch – für die Erörterung struktureller Ursachen von Ungleichheit und Diskriminierung fehlt zum Schluss die Sendezeit. Über die offenen Flanken der Identitätspolitik und die (Un)Möglichkeiten für solidarische Allianzen der Verschiedenen.

Credit: Victor Hedwig
Credit: Victor Hedwig

Eva Berendsen ist Politikwissenschaftlerin, Autorin, Journalistin und leitet die Kommunikation der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main. Zusammen mit Saba-Nur Cheema und Meron Mendel hat sie den Sammelband „Triggerwarnung. Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen“ herausgegeben (Verbrecher Verlag 2019).



18:30 Jens Balzer - "Fremd sind wir uns selbst - Versuch über die Ethik der Appropriation" (Der Vortrag wurde auf Grund einer Erkrankung von Jens Balder abgesagt)
Kulturelle Aneignung, „cultural appropriation“: Das ist gegenwärtig ein erregt umkämpfter Begriff. Weiße Menschen tragen Rastalocken, Geisha-Kostüme oder „Indianerschmuck“ oder wollen Gedichte von Schwarzen Menschen übersetzen – und werden dafür scharf kritisiert und beschämt: weil sie als Angehörige einer herrschenden, kolonialen Kultur sich an den Erzeugnissen ärmerer und oftmals rassistisch diskriminierter Menschen bereichern. Diese Kritik ist unmittelbar nachzuvollziehen – einerseits. Doch lässt sich andererseits überhaupt keine Kultur vorstellen, die nicht aus der Aneignung vorgefundener, „fremder“ kultureller Formen erwächst. Ohne Appropriation gibt es keine kulturelle Beweglichkeit, keine Entwicklung, kein Leben. Wie kann man zwischen „richtiger“ und „falscher“ Appropriation unterscheiden? Das ist die Frage, die ich diskutieren möchte. Dabei hilft vielleicht ein Blick zurück in die Geschichte. In der Postmoderne der Siebziger- und Achtzigerjahre war Appropriation ein positiv besetzter, emanzipatorischer Begriff. In der „appropriation art“ von Künstlerinnen wie Cindy Sherman und Sherrie Levine wurden überkommene Vorstellungen von Innerlichkeit und Authentizität, von „natürlichen“ sexuellen und sozialen Rollenmodellen in Frage gestellt; ebenso in den ersten Schriften von Judith Butler, in „Gender Trouble“ und insbesondere „Bodies That Matter“. Wie kann man die künstlerischen und philosophischen Einsichten aus dieser Zeit für die Debatten der Gegenwart nutzen? Wie können wir zu einer Ethik der Appropriation gelangen, die sich weder in Dogmen und Verbotsdebatten erschöpft – noch die Machtverhältnisse leugnet, unter denen sich kulturelle Ausbeutung vollzieht? Wie können wir Respekt vor dem Fremden zeigen – und zugleich die fundamentale Einsicht bewahren, dass es kein „Eigenes“ gibt ohne die Aneignung dessen, was uns als Fremdes entgegentritt und unsere Identität im Fluss hält und prägt?

Credit: Sven Marquardt
Credit: Sven Marquardt


Jens Balzer ist Autor und Kolumnist für DIE ZEIT, Deutschlandfunk, Rolling Stone und Radio Eins. Er kuratiert den monatlichen Popsalon am Deutschen Theater Berlin und ist künstlerischer Berater des Donaufestivals Krems. Seine jüngsten Bücher sind: „Pop. Ein Panorama der Gegenwart“ (2016), „Das entfesselte Jahrzehnt. Sound und Geist der 70er“ (2019), „Pop und Populismus“ (2019), „Zahlen sind Waffen. Gespräche über die Zukunft mit Sibylle Berg und Dietmar Dath“ (2021), „High Energy. Die Achtziger – das pulsierende Jahrzehnt“ (2021) und „Über Appropriation“ (erscheint 2022).


19:30 Résumé und offene Fragen

20:00 Sound jenseits von Identitäts- und Klassenfragen by DJ BC-A
Seit über einem Jahr steht die Clubszene nun still. Der erzwungene (und frustrierende) Rückzug ins Private bringt vielleicht gerade auch deshalb eine Veränderung des bisherigen Stils mit sich – frühere Sets waren von düsterem Techno geprägt, unter die aktuelle Trackauswahl mischt sich auch gern mal noch schnellerer Hard Techno, Hardcore und Gabber. Die Frage nach dem Warum konnte Barbara Caroline für sich beantworten, aus WHYAMI wurde deshalb irgendwann zwischen den Lockdowns das Namenskürzel BC-A. Als die eine Hälfte von night:service treibt sie in den gemeinsamen Sets die Geschwindigkeit ein Stück weit nach oben. Als Mitglied von Inseminoid freut sie sich auf die Zeit, in der Veranstaltungen endlich wieder möglich sind, um gemeinsam mit dem neu formierten Verein eben jene zu organisieren und für eine gute Zeit zu sorgen.

DJ BC-A
DJ BC-A

 

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Kategorie: diskursiv