gegen:WART
gegen:WART //// KRITIK - in einer Gesellschaft am Abgrund
Am 17. November 2022 waren wir zu Gast in der Innsbrucker Stadtbibliothek! Dieser Abend markiert den Start unserer sechsteiligen Diskursreihe gegen:WART //// es geht bergab. Dabei widmeten wir uns in der ersten Ausgabe dem Thema Kritik und begrüßten Lea Susemichel und Markus Steinweg als Diskutant:innen, um Kritik - in einer Gesellschaft am Abgrund zum Thema zu machen.
gegen:WART //// KRITIK - in einer Gesellschaft am Abgrund
Die Covid-19 Pandemie zeichnet sich noch immer durch eine allgemeine Emotionalität aus, denn jede:r ist irgendwie davon betroffen. Zusätzlich führt die Situation zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit politischen Maßnahmen und den damit verbundenen gesellschaftspolitischen Fragen. Das Recht, dabei eine kritische Position einzunehmen, nennt dabei jede:r sein Eigen. Die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen ist im Allgemeinen ein Ausdruck eines Unbehagens gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen. Bei vielen verdichtet sich zudem zunehmend das Gefühl, dass grundlegend etwas nicht stimmt und dass Entwicklungen in eine falsche Richtungen laufen. Dieser Eindruck, dass etwas schief läuft, erzeugt schließlich den nachvollziehbaren Wunsch nach Analysen, die uns die gesellschaftlichen Mechanismen erklären und verstehen lassen.
Doch was macht Kritik eigentlich aus?
Stellt Kritik den Kapitalismus und somit die Totalität der Gesellschaft in Frage? Ist eine Kritik der Gesellschaft, die den Kapitalismus außen vorlässt, vor allem eins, und zwar unzureichend? Damit einher geht die Gefahr einer verkürzten Kapitalismuskritik, die auf Personen und Gruppen abzielt und nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse hinterfragt. Das wiederum bietet einen Anknüpfungspunkt für Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Oder zielt Kritik darauf ab, Gesellschaft im Sinne eines differenzialistischen Verständnis zu bekämpfen, um vor allem Machtverhältnisse sichtbar zu machen? Denn wenn Machtverhältnisse sichtbar sind, können neue Sichtweisen ermöglicht werden. Dies soll aber nicht bedeuten, dass Kritik nur konstruktiv sein soll oder muss. Jedoch ist für eine Auseinandersetzung, die Reflexion und Offenlegung des eigenen Kritik-Standpunkts - ohne dass gleich eine positive Alternative formuliert werden muss - entscheidend. Denn Kritik ist vor allem eine Form von Auseinandersetzung, die es erfordert in Beziehung zu gehen. Kritik ist also mehr als nur das Verbreiten einer Meinung.
Durch die Pandemie ist ein surreales und oberflächliches Kritikverständnis sichtbar geworden, welches Kritik zwischen konformistischer Rebellion und emanzipatorischem Anliegen verortet. Daher wollen wir uns im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung zur Diskursreihe "gegen:WART" den Fragen zur Kritik widmen und uns darüber klar werden, was kritische Positionen in Zeiten der gegenwärtigen Covid-19 Pandemie, kriegerischen Auseinandersetzungen und der bevorstehenden Klimakatastrophe ausmacht?
Gemeinsam mit Lea Susemichel, Markus Steinweg gingen wir in eine Auseinandersetzung zur Kritik. René Nuderscher moderierte den Abend.
gegen:WART Kritik - in einer Gesellschaft am Abgrund Veranstaltungsteaser (Marco Trenkwalder)
Lea Susemichel studierte Philosophie und Gender Studies in Wien. Als Autorin, Journalistin, Lehrbeauftragte und Vortragende arbeitet sie intensiv zu den Themen feministische Theorie & Bewegung und Medienpolitik. Seit 2006 ist sie leitende Redakteurin des feministischen Magazins an.schläge. Zuletzt erschienen (gemeinsam mit Jens Kastner): Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken und Unbedingte Solidarität.
Lea Susemichel zu Kritik:
„Die Dinge und Verhältnisse könnten auch anders sein. Wer Kritik übt, ist davon überzeugt: there are alternatives. Ob als „Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault) oder als „Interesse an der Aufhebung des gesellschaftlichen Unrechts“ (Horkheimer) – Kritik will Veränderung. Das gilt insbesondere auch für die feministische Wissenschafts- und Ideologiekritik, die jedes epistemologische Objektivitätspostulat als andro- und eurozentrisches Phantasma entlarvte. Doch wer den Anspruch auf Universalismus herausfordert, muss das auch hinsichtlich eigener Situiertheit und Sicherheiten tun. „Im Zweifel für den Zweifel“ (Tocotronic) also.“
Marcus Steinweg ist ebenso Philosoph und hat seit 2004 als Dozent oder Professor an der ZHdK Zürich, der UdK Berlin, der HbBK Hamburg und der Kunstakademie Karlsruhe unterrichtet. Er lebt in Berlin. Zu seinen Publikationen zählen: "Duras" (mit Rosemarie Trockel, Berlin: Merve 2008), "Politik des Subjekts“ (Zürich/Berlin: Diaphanes 2009), "Aporien der Liebe" (Berlin: Merve 2010), "Kunst und Philosophie / Art and Philosophy" (Köln: Walter König: 2012), "Philosophie der Überstürzung" (Berlin: Merve 2013), "Inkonsistenzen" (Berlin: Matthes & Seitz 2015), "Evidenzterror" (Berlin: Matthes & Seitz 2015), "Gramsci Theater" (Berlin: Merve 2016), "Splitter" (Berlin: Matthes & Seitz 2017), "Subjekt und Wahrheit" (Berlin: Matthes & Seitz 2018), "Proflexionen" (Berlin: Matthes & Seitz 2019), "Humor und Gnade" (mit Frank Witzel, Berlin: Matthes & Seitz 2019), "Metaphysik der Leere" (Berlin: Matthes & Seitz 2020), "Quantenphilosophie" (Berlin: Matthes & Seitz 2021). "Fetzen" (mit Marie Rotkopf, Berlin: Matthes & Seitz 2022). Die englischsprachige Fassung einiger seiner Bücher erscheint seit 2017 bei The MIT Press; Cambr./Mass./USA.
Markus Steinweig zu Kritik:
KRITIK DER KRITIK
„Zu oft hat man die Bejahung mit der Gutheißung bestehender sozialer oder politischer Verhältnisse verwechselt. Das Ergebnis ist ein Narzissmus, der von der Negativität lebt, die er als kritische Haltung verkauft. Dabei beginnt doch Kritik mit Selbstkritik, das heißt mit der Infragestellung und Analyse der eigenen Axiomatik. In ihr laufen meist unbemerkt Bejahungen mit. Es geht nicht ohne implizite Affirmationen: Das wiederholt in unzähligen Sätzen der späte Ludwig Wittgenstein. Erst das Denken, das sich seiner Voraussetzungen und Hypothesen klar ist, verdient kritisch genannt zu werden. Man muss wissen, dass man in Verhältnisse, in Kontexte, in Sprache eingebettet ist. Der Berührungspunkt zwischen Wittgenstein und Gilles Deleuze liegt hier: Was Wittgenstein Lebensformen und Sprachspiele nennt, heißt bei Deleuze Konsistenzebene oder Konsistenzmilieu. Ein Minimum an Konsistenz oder schlicht Boden unter den Füßen ist Bedingung der Möglichkeit von Kritik. Kritik, die das nicht sieht, ist keine. Jedenfalls bedarf jede Kritik einer Kritik der Kritik. Sie hilft beides zu vermeiden: 1. Das Schwelgen im Idealismus der Bedingungslosigkeit oder Unmittelbarkeit. 2. Das Sichverrennen in verabsolutiertem Negativismus, in Ressentiment und Hass. Die Bejahung erweist sich als Lebensbejahung. Anders als Negativismus, Ressentiment, Rachsucht und Hass. Der Hass, sagt Deleuze, „ist gegen alles, was im Leben aktiv und bejahend ist, gegen das Leben schlechthin.“
Moderation: Rene Nuderscher (Theorieliebhaber und Kulturschaffender u.a. bei Skin on Marble und Reich für die Insel)
Eröffnungsveranstaltung: gegen:WART //// KRITIK - in einer Gesellschaft am Abgrund
Datum: | Donnerstag der 17.11.2022 |
Ort: | Stadtbiblitothek Innsbruck |
Vortragende: |
Markus Steinweg und Lea Susemichl |
Moderation: | René Nuderscher |
Rahmenprogramm: | ab 22:00 in der p.m.k. mit DJ Lou Cat |
Diese Veranstaltungsreihe wird im Rahmen der stadt_potenziale innsbruck 2021 gefördert: