Positionen
Wir brauchen Öko-Punks!
Die Aktivist*innen der Letzten Generation pfeifen auf die Vernunft der Mehrheitsgesellschaft und sind damit vielleicht auf der Spur einer wichtigen kulturellen Innovation. Vielleicht wird der Katroffelpüreewurf zu Potsdam einmal als wichtigstes Kulturgut des frühen 21ten Jahrhunderts gelten – sofern wir halt überleben.
Gastbeitrag von Kilian Jörg, November 2022
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Eine neue Welle des Ökoaktivismus hat die Schwelle des noch vernünftig Rechtfertigbaren überschritten – so ein scheinbar breiter Konsens in der medialen Debatte. Wenn Aktivist*innen der Letzten Generation sich zu Stoßzeiten an Hauptverkehrsadern kleben und besonders wenn sie Tomatensuppe gegen klassische Kulturschätze von Picasso und Van Gogh schmeißen, dann ist der Bogen überspannt und selbst der deutsche Bundespräsident fühlt sich gehalten, diese Aktionen als „nicht hilfreich“ zu verurteilen. Zwar sei er „wirklich froh darüber, dass es eine wachsende Sensibilität in Umweltfragen gibt“, doch solle man vernünftig bleiben, denn sonst leide „die breite gesellschaftliche Unterstützung für mehr und entschiedeneren Klimaschutz“.
Zu selben Zeit flogen die Repräsentant*innen von Staaten und Großkonzernen mit hunderten von Privatjets zum COP27, um dort über Klimafragen zu diskutieren. Einen wirklichen Fortschritt erwartete sich niemand, aber man war froh, zumindest im Dialog zu bleiben. Die Veranstaltung wurde u.A. von Coca Cola gesponsert und auch über 600 Lobbyist*innen der fossilen Industrie finden sich im Luxusressort von Scharm asch-Schaich ein – womit sie die Vertreter*innen der zehn am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten zahlenmäßig übertrumpfen.
Was ist, wenn die Aktionen der Letzten Generation auf eine entscheidende Entwicklung innerhalb der ökologischen Bewegung hindeuten? Eine, die die Last der Vernunft von ihren Schultern abwirft? Was ist, wenn das eine gute und wichtige Entwicklung ist? In einer Welt, in der die ökonomische, politische und soziale Vernunft sehenden Auges in den Abgrund rast, ist es vielleicht eine Art des kommenden Öko-Punk oder Öko-Dada, die gerade durch ihre objektiv verrückten Aktionen die objektive Verrücktheit unseres Systems am effektivsten aufzeigt. Dadurch wäre nebenbei auch endlich ein großer blinder Fleck vieler bisheriger öko-aktivistischer Bewegungen adressiert: dass „Natur“ immer schon ein kulturelles Produkt war und als solches politisch zu bekämpfen ist.
Die Natur ist ein Kulturprodukt
„Natur“ ist, wie ökologische Philosoph*innen wie der kürzlich verstorbene Bruno Latour nicht müde wurden zu betonen, kein neutrales und unschuldiges Konzept, sondern an sich schon Teil des Problems. Der Begriff der „Natur“ hat sich in seiner heutigen Bedeutung erst im Laufe der früheren Neuzeit entwickelt und findet auch kein semantisches Äquivalent in anderen Kulturräumen. „Natur“ ist etwas dem Abendland eigenes und entstand zeitgleich wie unser ökologisch katastrophales Verhältnis zur Umwelt. Ein Zufall? Keineswegs! Denn „Natur“ als etwas zu beschützendes, dem Menschen Äußerliches macht erst nach den frühen philosophischen Weichenstellungen eines René Descartes oder Francis Bacon Sinn, die den Menschen als von Gott privilegiertes, primär geistiges Wesen begreifen, dem – qua seiner Vernunft – die Erde gegeben ist, um sie sich zum Untertan zu machen. Es ist kein Wunder, dass sich z.B. Bacon direkt vom Vokabular der Hexenverbrennung und der Inquisition inspirieren lässt, wenn er empfiehlt, die Natur „auf die Folterbank zu binden“ da sie ihre Geheimnisse nicht von sich aus hergibt. Diese die moderne Wissenschaft entscheidend prägende Vernunft folgt einer patriarchalen Logik, die „Natur“ als etwas Weibliches und zu Dominierendes begreift. Im Namen der „Natur“ wurden so im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche rassistische und sexistische Ausschlüsse und Verbrechen legitimiert. Schwarz und weiblich gelesene Personen wurden als der „Natur“ näher und so als von der Vernunft des weißen Mannes zu beschützen und zu beherrschen verstanden. Wenn wir diesen Paternalismus auf die gesamte Natur unseres Planeten ausdehnen, weiten wir nur den patriarchalen Kontrollzwang auf planetare Dimensionen aus, ohne etwas an den katastrophalen Konsequenzen dahinter zu ändern.
Öko-Aktivismus gegen die Natur?
Der bisherige Öko-Aktivismus, besonders jener aus dem weißen Mittelstand, krankte oftmals an einem oftmals naiven Verhältnis zu dieser Natur. „Wir wollen die Natur retten“ ist zwar von der Intuition her richtig, doch kauft man sich mit dieser Aussage einen Rattenschwanz an kolonialem und misogynem Erbe ein, der bislang die Anschlussfähigkeit an andere Emanzipationsdiskurse wie etwa die Anti-Imperialistische, Feministische, Schwarze oder Refugee-Bewegungen erschwerte. Doch da das ökologische Problem ohne die unterdrückerischen, kolonialen Ungleichheitsregime des globalen Extraktivismus nie entstanden wäre, braucht es diese intersektionale Perspektive notwendigerweise um Lösungen zu finden. Durch ihre Ablehnung der Vernunft könnten die mutigen Aktivist*innen der Letzten Generation es schaffen, damit auch unser Verständnis von „Natur“ zum politischen Problem zu erheben. Bisher hielten die meisten öko-politisch Motivierten am wissenschaftlichen Diskurs als oberste und kaum hinterfragte Autorität fest. „Follow the science“ ist eine zentrale Forderung der meisten Aktivist*innen. Dass „follow the science“ vor 150 Jahren z.B. auch bedeutet hätte, schwarze Menschen aufgrund ihrer Schädelform und Physiognomie (also ihrer „Natur“) als minderwertig anzusehen, wird heute zu oft vergessen. Wissenschaften laufen stets intern kontrovers ab und bilden nie eine Einheit, der man so einfach als „the science“ folgen kann. Die Forderung „der“ (welcher?) Wissenschaft zu folgen, ist also an sich essentiell unwissenschaftlich. (Ich erinnere mich lebhaft an den engagierten Aufschrei einer jamaikanischen Aktivistinnen-Freundin, die sich neulich auf einem Berliner Diskussionspanel vor versammelten weißen Bildungsbürgertum entrüstete: „Lasst mich in Ruhe mit Eurer Wissenschaft! Seit vielen Jahrhunderten warnen Euch meine indigenen Vorfahr*innen vor dem katastrophalen Kurs, den ihr einnimmt. Jetzt erzählen euch ein paar weiße Dudes mit Doktortiteln dasselbe und plötzlich macht ihr Euch Sorgen? Fuck you and your science!“)
Die gegenwärtige Vernunftordnung produziert im wissenschaftlichen Betrieb zwar mehr als genug Information und Evidenz über die ökologische Katastrophe. Was fehlt sind realistische Szenarien, daran etwas zu ändern. Denn gleichzeitig ist es in derselben Gesellschaft weiterhin vernünftig, in fossile Brennstoffe zu investieren – ihre Kurswerte waren dieses Jahr um einiges volatiler als jene von „nachhaltigen Energiequellen“. Genauso ist es in Deutschland vernünftig, sich einen möglichst dicken Firmenwagen zu besorgen – denn so erhält man große Steuervorteile und wird von großen Teilen der weißen und männlichen Elite als ihresgleichen angesehen. Mit der Vernunft alleine ist einem also in der gegenwärtigen stark ausdifferenzierten Gesellschaft des Spätkapitalismus nicht geholfen.
new no future?
Aus diesem Grund ist die Geste Tomatensauce auf einen Picasso zu werfen philosophisch brillant. Warum sollten politische Aktionen bei ernsten Themen nicht auch mal Spaß machen? Mit der Vernunft scheint es ja so einfach nicht zu klappen. In der Gesellschaftsordnung des liberalen Kapitalismus ist es gleichzeitig vernünftig, ein akademisches Paper über die katastrophalen Folgen von fossilen Brennstoffen zu veröffentlichen und seine Pension durch das Investieren bei Shell und Gasprom zu sichern. Mach‘ kaputt was dich kaputt macht. Wirf Spinat gegen Basquiat und Spagetti gegen Giacometti. Die Vernunft einfach mal aktivistisch über Board zu werfen ist vielleicht zur Zeit der produktivste Schritt aufzuzeigen, wie eng verwoben unser kulturelles Wertesystem mit der ökologischen Katastrophe ist. Die vernünftigen Männer und Frauen, die mit dem Privatjet zum COP27 fliegen „um das Klimaproblem zu lösen“ zerstören unsere Zukunft während sie sich tierisch empören über ein paar Spritzer am Plexiglas ihrer Lieblingsgemälde. Wenn es nicht so abgrundtief traurig wäre, könnte man eigentlich schallend lachen.
Die globalen Treibhausgase steigen weiter massiv an und selbst in so „überentwickelten“ Ländern wie Deutschland steigt sowohl die Pro-Kopf-Anzahl von zugelassenen Autos, als auch deren durchschnittliche Größe, sowie die Anzahl der Straßen, auf denen sie ihre Abgase der Atmosphäre überantworten können. Ist es bei dieser Lage nicht vermessen von jenen, die diese Katastrophe am heftigsten zu spüren bekommen – der Letzten Generation – auch noch Vernünftigkeit einzufordern?
Dass sich die gesamte „respektable Gesellschaft“ heute in Wort und Bild über die Aktionen der Letzten Generationen so empört wie in den prüden 50er Jahren über sexuelle Freizügigkeit, zeigt an, dass die moralische Doppelbödigkeit und Heuchelei heute wieder eine ähnliche ist. Vielleicht müssen wir also die Aktionen der Letzten Generation als eine Art „Öko-Punk“ verstehen, die diese moralische Doppelbödigkeit aufmischen will. Denn wogegen im Zeitalter der Atombombe das punkige „no future“ die jugendkulturelle Verarbeitungsstrategie eines nahen Weltenendes war, haben sich in den letzten Jahrzehnten kaum Jugend- oder Subkulturen gebildet, die ihre Identitäten um die ökologischen Katastrophe spinnen. Stattdessen wurde Jugendkultur von manchen älteren Semestern als „tot“ bezeichnet.
Ich glaube, man kann in den Aktionen der Letzten Generation den noch großteils unbewussten Keim einer solchen neuen Kultivierung des Weltenendes und der Katastrophe sehen. Die Erfahrungen der braveren Versuche rund um Fridays for Future haben den jungen Aktivist*innen gezeigt, dass auf die vernünftige Tour nichts zu erreichen ist. Sie haben versucht, alles richtig und vernünftig zu machen und alle haben sich gefreut, sie zu ihren Konferenzen eingeladen und dann weiter wie bisher gemacht. Kartoffelpüree gegen einen allgemein geliebten Kulturschatz zu werfen, bricht mit der Vernunft, genau weil diese innerhalb dieser Gesellschaft zahnlos blieb. In der gegenwärtig besonders unter Jugendlichen weit verbreiteten Stimmung des no future ist es vollstens verständlich, die Vernunft in einer gänzlich wahnsinnigen Welt über Bord zu werfen und durch punkige Aktionen die steife Gesellschaft zumindest aus ihrem selbstgefälligen Schlummer zu reißen. Der Kartoffelpürreewurf zu Potsdam machte wahrscheinlich unheimlich Spaß und gibt dem Überdruss ein gelungenes Ventil. Die Letzte Generation kultiviert ein neues apokalyptisches Lachen.
Vielleicht erleben wir zur Zeit also die Geburt von Öko-Punks, Öko-Goths, Öko-Dadas und Öko-Ravern, die sich den Kollaps unserer Biosphäre kulturell aneignen. Ich glaube, man kann die Aktionen der Letzten Generation als einen Vorboten dieser Kultivierung der Katastrophe verstehen. Damit wäre unheimlich viel gewonnen: Denn solange wir „die Natur“ bloß als zu rettendes, weiblich substantiviertes Ding verstehen, werden wir dem Problem in seiner Tragweite nicht gerecht. Der Anspruch, „die Natur zu retten“ bringt automatisch ein paternalistisches Verhältnis mit sich, welches uns über die umweltlichen Relationen setzt, die wir eigentlich zuerst mal begreifen müssten um irgendwas ändern zu können. Dieser Anspruch ist die Ideologie derjenigen, die im Privatjet den Planeten retten wollen, indem sie mit anderen vernünftigen Menschen im ägyptischen Luxusressort Coca Cola schlürfen und ihren Flug mit Carbon Offsetting ausgleichen (und dadurch ganz nebenbei ein paar afrikanische Landstriche für die Pflanzung ihrer Bäume enteignen lassen.)
Die Öko-Punks der Letzten Generation sind vielleicht gerade dabei zu erkennen, dass „Natur“ in der modernen Vernunftordnung stets das war, was als der Kultur entgegengesetzt verstanden wurde. Es ist diese Objektivierung der Natur, die die ökologische Katastrophe kulturell hervorgebracht hat. Die Letzte Generation wird den Anspruch aufgeben, die Natur zu retten. Wie in den besetzten Wäldern Frankreichs (den „ZADs“) ruft sie stattdessen: „Wir verteidigen nicht die Natur, wir sind die Natur, die sich verteidigt.“ Und wenn es dazu Tomatensauce aus der Dose braucht.
Kilian Jörg, November 2022